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6. Einzelexegese6.1 Versexegese6.1.1 Vers 27Jesus startet hier den Gedanken zur Ehe. Etwas unterbetont ist diese Einleitung, die vor dem Ehebruch warnt. Er erinnert an bekanntes, an etwas anerkanntes. Denn der Ehebruch war ja durch allerlei feste Regeln genau definiert. Der Hörer weiß eigentlich, wo der Ehebruch anfängt und wie man ihn umgeht. 6.1.2 Vers 28Jesus erweitert nun diese Regel aus Vers 27. Ob man eine Frau erst ansieht und sie deshalb begehrt, oder ob man sie begehrt und darum ansieht, der Text gibt auf diese Frage keine Antwort. Wichtig bleibt, daß nicht die Tat selber hier das Wichtige ist. Jesus setzt nicht beim üblich definierten Begriff für den Ehebruch an. Es ist nicht der Seitensprung, der die Ehe bricht. Es sind die Schritte dahin, die es zu meiden gilt. Sie sind es, die verführen und verleiten. Dabei möchte Jesus nicht allgemein den Umgang zwischen Mann und Frau verbieten, ganz im Gegenteil, er praktizierte ihn selber. So unterhielt sich Jesus alleine mit der Frau am Brunnen (Johannes 4), oder er lehrte Maria (Lukas 10). Frauen werden auch zu seinem erweiterten Jüngerkreis gehört haben (z.B. Lukas 23,55), so daß er schon Umgang mit ihnen gepflegt hatte. Aber es war kein sexueller Umgang, kein Begehren, sondern ein freundschaftlicher Umgang. Frauen dienten ihm, er lehrte sie, ganz so, wie seine Jünger - auch wenn sie nicht zum ausgelesenen Zwölferkreis gehörten. Mit diesem Wort über das Ansehen wendet er sich gerade gegen eine Degradierung der Frau als Lustobjekt, als rein sexuelles Wesen. Dabei ist hier keine feindliche Einstellung Jesu gegenüber der Sexualität abzulesen. Nur Männer, die mit einer anderen Frau als der, mit der sie verheiratet sind, sexuellen Umgang wünschen, bekommen hier die rote Karte. So bestärkt Jesus die Ehe. Er stellt sich voll hinter die Institution Ehe, er bekräftigt ihren Wert. Mit dem Ansehen und Begehren soll das Übel für den Seitensprung schon an der Wurzel gepackt werden. Jesus möchte hier eine gute Distanz zwischen den Unverheirateten wahren, welche die jeweilige Ehe schützt. Diese Distanz soll dabei nicht durch äußerliche Rahmen eingegrenzt werden - Frauen wegsperren oder ähnliches, wie es im Altertum oder Islam praktiziert wurde und zum Teil noch wird -, sondern innerlich. Die Schuld liegt dann nicht mehr hauptsächlich bei der Frau, die nicht auf sich aufpaßte, sondern beim Mann, der die Gedanken zuließ. Das Begehren ist dabei nicht genauer definierbar. Es existiert so keine Grenze mehr, bei der man sagen kann, ich habe Ehebruch begangen, oder das ist noch erlaubt. Jeder Mensch ist da auch verschieden, und wichtig ist die innere Auffassung. Denn man kann eine Frau anschauen und schön finden, ohne sie zu begehren und ohne sozusagen Ehebruch in seinem Herzen zu treiben. Das Gegenstück dazu ist das Begehren, sie anzuschauen und mehr von ihr zu wollen. Da fängt der Ehebruch an, der innerlich die Intimität der eigenen Ehe verletzt. 6.1.3 Vers 29Jesus reicht die erste Verschärfung der Ehebruchsregel nicht. Mit diesem Vers unterstreicht er deutlich, wie wichtig ihm das ist, wie radikal wichtig es ihm ist. Der Ehebruch ist kein kleines Delikt, er ist der Schritt zur Hölle. Bei Schuld kann man nicht fragen, ob sie noch so klein ist, daß Gott sie nicht beachtet, sondern Schuld führt immer in die Gottesferne, in die Hölle. Es gibt keine kleinen Delikte. Man wird schuldig gegenüber Gott. Auch beim Ehebruch wird man hier nicht (nur) seiner Frau oder dem anderen Ehemann gegenüber schuldig, die Schuld türmt sich vor Gott auf. Daher formuliert Jesus diesen Satz so radikal. In sich ist dieser Satz unrealistisch. Denn man kann die Schuld nicht einem einzelnen Organ zuweisen. Man kann auch schwer nur mit einem Auge sündigen, denn was geschieht dabei mit dem anderen? Der Satz bezieht sich auch nicht nur auf den Ehebruch, sondern er bezieht sich allgemein auf Schuld. Da wir alle aber regelmäßig schuldig werden, müßten alle Menschen nach diesem Satz blind durch die Welt laufen. Dieser Gedanke muß auch Jesus klar gewesen sein, und seinen Zuhörern erst recht. Er ist ein Schritt hin zu dem Ruf nach Vollkommenheit, zu der Jesus in der Bergpredigt aufruft: "Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist." (Matthäus 5,48). Als Menschen können wir aber nicht vollkommen sein, nur Gott ist es. Die Folge ist, daß wir immer schuldig werden. Die Pharisäer haben versucht, schuldlos durch das Leben zu kommen. Sie haben die Gebote Gottes so gedeutet, daß sie erfüllbar wurden. Das kann aber nicht Sinn der Gebote sein. Jesus möchte seinen Zuhörern zeigen, daß sie schuldig werden, daß es nicht reicht, die Gebote so zu deuten, daß sie erfüllbar werden. Es reichen nicht kleine Schritte, das ganze Gesetz ist gefordert. Alle Menschen werden schuldig, und so ruft Jesus zur Umkehr. Er deckt die Schuld auf und bereitet so den Weg für die Vergebung der Schuld vor. Dieser Gedanke kommt schon in der Bergpredigt vor (z.B. Matthäus 6,12), wird dann aber in der Kreuzigung vollendet. 6.1.4 Vers 30Unabhängig, wie wir die Hand hier deuten, es gibt keine billige Gnade. Die Gnade fordert. Nur wenn man sich gegen die Schuld stellt, kann die Vergebung wirken. Daher soll der Zuhörer sein rechtes Auge ausreißen, seine rechte Hand abhacken. Nun kommt die Ortsbezeichnung rechts nicht von irgendwo, sie bezeichnet das Beste. Der Mensch soll sein Wertvollstes geben, um die Vollkommenheit zu erreichen. Er soll sich radikal von der Schuld abwenden und sie schon im Anfangsstadium meiden, bei der Versuchung. Man beachte auch die Bedeutung von "sittlich gut", die bei dexio,j mitschwingt. Gott hat die Hand gegeben, Gott hat das Auge gegeben, und sie sind gut. Es ist vollkommen gut, nur der unkontrollierte, falsche Gebrauch kann es mißbrauchen. Dann wird das Auge oder die Hand zum Auslöser der Schuld, zum Verführer. Diese gilt es auszuschalten. Dabei wird der Zuhörer aufgefordert, für sich die Gedanken weiterzuführen. Diese zwei Beispiele sind exemplarisch an den Ehebruch angehängt, aber es gibt noch viel mehr. Die Körperteile sind Kräfte, die an dem Menschen ziehen und ihn in Versuchung bringen wollen. Der Zuhörer und Leser bleibt aufgefordert, darüber nachzudenken, was seine Versuchungen sind. Die Wendung "Dich zur Sünde verleitet" ist nicht endgültig, denn man kann ja doch wieder zurückgeleitet werden. Die Vorstellung der Tat ist in diesem Vers noch nicht die Sünde. Die Versuchung ist auch noch keine Sünde. Jeder Mensch reagiert an diesem Punkt auch unterschiedlich. Erst wenn aus dem Gedanken die Tat wird, erst wenn dieser Gedanke anfängt mich zu bestimmen, wird er zur Sünde. Und daher ist es wichtig, ihm vorher zu begegnen. Dieser Gedanke ist so fundamental, daß ihn Jesus häufiger wiederholt. Es ist Jesus wichtig, daß die Zuhörer nicht nur die Tat als Schuld sehen, sondern sich schon auf eine Ursachenforschung begeben. Die Ursachen sollen ausgeräumt werden, und das nicht äußerlich durch Abgrenzung (Frau darf nicht auf die Straße), sondern innerlich durch bewußtes Gegensteuern. 6.1.5 Vers 31Hier knüpft Jesus wieder an den Ehebruchgedanken an. Die Zuhörer merken das an dieser Stelle noch nicht, denn für sie stellte ja gerade die Eheauflösung durch den Scheidebrief keinen Ehebruch dar. 6.1.6 Vers 32In den Augen der Zuhörer liegt eine Umdrehung vor: Während die alte Regel in Vers 27 durch die Regelung in Vers 28 gestärkt worden ist, hat Jesus es hier aber umgekehrt. Die altbekannte Regel aus Vers 31, die Scheidebriefklausel, wird durch Vers 32 aufgehoben. Ein Scheidebrief hebt keine Ehe auf, auch keine Scheidung. Denn die Ehe besteht in Wahrheit fort. Die Menschen, die nach Genesis 2,24 zu einem Fleisch werden, können nicht durch ein Stück Papier getrennt werden. Jesus zeigt hier deutlich, wie eng diese Verbindung ist. Dabei wirkt die innere Einstellung mehr als das Papier. Denn im ersten Teil von Vers 32 ist nicht von der Wiederheirat die Rede, sondern von dem Entlassen. Die Ehe wird erstmal nicht durch die neue Ehe gebrochen, sondern durch das Beenden der Alten. Da hinein spielt auch diese Unzuchtsklausel, die hier Matthäus erwähnt. Es ist schon verwunderlich: Wo doch Jesus hier nur radikale Thesen aufstellt, kommt gleich eine relativierende Ausnahme. Die Ausnahme ist verständlich, denn bei einer sexuellen Betätigung der Frau außerhalb der eigenen Ehe hat sie ja schon dieses "ein Fleisch sein" untergraben. Man beachte, daß die Redewendung nicht bedeutet, sie hat die Ehe unbedingt schon getrennt. Die Sexualität ist nicht die konstituierende Art der Partnerschaft einer Ehe. Das gegenseitige Festhalten aneinander ist der Kern dieses Teilverses. Vergebung ist möglich, diese Ehe soll erhalten bleiben. Sie existiert solange, wie die Ehepartner aneinander festhalten. Daran schließt sich auch der letzte Teil des Verses an. Die Ehe kann nicht getrennt werden, der in die Ehe Heiratende bricht sie erst endgültig. So macht auch er sich mitschuldig. Er zerstört jede Hoffnung auf Versöhnung und Aussöhnung der ehemaligen Ehepartner. Trotzdem gibt es die Ausnahme in diesem Text. Sie kann gedeutet werden in einem engen Sinne, daß der Mann sich von der untreuen Frau trennen darf, aber die Frau darf dann nicht mehr heiraten. Diese Version wäre nach dem Buchstaben richtig, geht aber meines Erachtens am Sinn dieser Ausnahme vorbei. Denn nicht nur Matthäus setzt hier eine Scheidungsausnahme voraus, auch Paulus tut dies in 1. Korinther 7, 11. Auch Moses kannte diese Ausnahme, und so hat er sie gegeben. Matthäus läßt das Jesus in 19,8 auf den Punkt bringen. Die Herzenshärtigkeit der Menschen führt die Ehe an ihre Grenzen. Sie ist es, welche die Ehen zerstört. Der Grundsatz, wie die Ehe geführt wird, ist das eigentlich Wichtige. Hier muß angefangen werden, die Ehe zu retten. Denn die Ehe ist nicht durch Gesetze zu garantieren. Denn "die Wirklichkeit der irdischen Verhältnisse wird [sonst] zugedeckt unter einem perfekt erscheinenden Gesetz". Die Wirklichkeit soll auch perfekt sein, nur befinden wir uns noch auf dem Weg dahin. So haben wir mit dieser Regel keine Ehegesetze vorliegen, sondern sittliche Weisungen. Darum ging es auch Paulus nicht, der dies in 1. Korinther 7,11 erneuert. Auch wenn sich in Vers 32 die Ausnahmeklausel auf die Frau bezieht, gilt sie auch für den Mann. Die männliche Variante dieses Textes ist situationsbedingt zu sehen, denn die Frau konnte ja keinen Scheidebrief ausstellen. 6.2 Übertragung der Verse 27-32 in heutiges DeutschIhr habt gehört, daß die Regel gilt: "Du sollst keinen Ehebruch treiben". Und ich ergänze diese Regel sogar: Denn jeder, der eine Frau nur anschaut und begehrt, der treibt im Grunde schon Ehebruch in seinem Herzen. Wenn aber dein gutes Auge dich zur Sünde verleitet, so reiße es aus und wirf es weg von dir: Denn es ist besser, ein einzelnes Teil von dir umkommen zu lassen, als wenn dein ganzer Körper in die Hölle geworfen wird. Und wenn aber deine gute Hand dich zur Sünde verleitet, so haue sie ab und wirf sie weg von dir: Denn es ist besser, ein einzelnes Teil von dir umkommen zu lassen, als wenn dein ganzer Körper in die Hölle geworfen wird. Weiterhin wird gesagt: Wenn du dich scheiden lassen willst, so gib der Frau einen Scheidebrief. Und ich sage sogar, daß jeder, der seine Frau nicht mehr bei sich haben will - außer die Frau hat ihn mit einem anderen Mann betrogen -, der bricht die Ehe. Und auch der, der eine Geschiedene heiratet, bricht die Ehe. 6.3 Rezeptionsgeschichte6.3.1 Verse 27 bis 30Der Text hat zwei Auslegungsrichtungen erfahren. Die eine verschärft den Text extrem. So wurde in der mittelalterlichen Auslegung das Begehren zur Wurzel allen Übels. Dadurch wurde eine lust- und ehefeindliche Gesellschaftsordnung geschaffen, die sich gerade im klösterlichen Leben durchsetzte. Regeln wie die von Franz von Assisi verboten dann in den Klöstern den Mönchen den Umgang mit Frauen. Nicht einmal ein Gespräch sollte mehr erlaubt sein. Die andere Richtung war eher eine Lockerung. Der schlechte Gedanke macht noch nicht die Todsünde aus, so Martin Luther. Trotzdem bleibt die Ehe schutzwürdig, und so gilt nicht die Abstinenz der Mönche als das Lebensziel, sondern die gut geführte Ehe. Diese Ehe hat aber bei Luther sich auch klar gegen die Sittenverderbnis zu bewahren, die bei einem freizügigen ehelichen Umgang leicht aufkommt. Insbesondere der Ansatz, der die Ehe als schutzwürdig und als wichtige Institution versteht, ist heute sowohl in katholischer und nachreformatorisch-protestantischer Exegese weit verbreitet. Die Sprüche in Versen 29 und 30 wurden in der kirchlichen Tradition allegorisch ausgelegt. Dabei steht die Hand oder das Auge für den begehrenden Geist, die bösen Gedanken, falsche Ziele des Willens, bis hin zu falschen Freunden, Verwandten und Angehörigen. In einer letzten Variante werden diese Verse auch auf die Kirche gedeutet, die um das Überleben des ganzen Leibes willen auf einzelne Glieder verzichten muß. 6.3.2 Verse 31 und 32Die katholische Richtung betont noch heute die Unmöglichkeit einer zweiten Heirat. Auch wenn die Partner getrennt wohnen und leben, die alte Ehe bleibt erhalten. Dabei unterscheiden sie nicht zwischen der Trennung, die Matthäus verwendet, und der Entlassung, wie sie sonst gebraucht wird. Diese Auffassung entspricht aber doch am ehesten dem Buchstaben des Textes von Matthäus. In den orthodoxen Kirchen wurde die Möglichkeit einer erneuten Heirat nach einer Buße eingeräumt. Die zweite Ehe wurde schon vorher von einigen griechischen Kirchenvätern vorsichtig bejaht. Denn in dieser Tradition war der Gedanke wichtig, daß die Ehe schon durch den Ehebruch faktisch zerstört war. Das Recht auf die neue Ehe läßt sich dabei nicht vom Gottesrecht ableiten, sondern ist nur eine seelsorgerliche Billigung. Die reformierte protestantische Sicht der Ehe spielt sich ab als weltliche Sicht. Die Ehe ist keine göttliche Institution, sondern eine weltliche Einrichtung. Daher wird das Scheiderecht der weltlichen Gesetzgebung überlassen, mit der Folge, daß sich die Ehe den Sitten des Landes anpaßt. Theologisch entspricht diese Variante der Überzeugung, daß dieses Gebot eine sittliche Forderung darstellt und kein Gesetz. Zu beachten ist, daß das unbewegliche katholische Scheidungsrecht oft als sehr lieblos erscheint. Wo bleibt die Vergebung Gottes? Aber auch der protestantische Ansatz führt in eine Sackgasse. Durch den rechtlich offenen Raum wählt die Gemeinde oft den Weg des geringsten Widerstandes. Dieser Weg rettet aber die Ehe nicht, sondern bedeutet Trennung. Der Grundsatz Luthers, die Liebe brauche kein Gesetz, kommt hier an seine Grenzen. Es stellt sich erneut die Frage nach anderen Kriterien, mit denen man ein Scheidungsrecht aufstellen kann - wobei der Ausdruck schon falsch gewählt ist, denn es kann sich nie um ein Recht zur Scheidung handeln. |