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5. Diachrone BetrachtungDieser Text greift zwei wichtige Bereiche im Leben der Juden auf. Der eine Bereich ist die Ehe, der andere der Umgang mit der Schuld. Den Schwerpunkt bildet dabei die Frage nach der Ehe, wie ich bei der Gliederung und Verknüpfung des Textes gezeigt habe. Dies wird auch meinen Schwerpunkt bei der Betrachtung der Umwelt des Textes bilden. 5.1 Die Ehe zur Zeit JesuIn Palästina zur Zeit Jesu herrscht eine vaterrechtliche Sozialstruktur. Das schlug sich ganz deutlich in der Ehe nieder. Ein Mann war das Sippenoberhaupt. Er war der Herr in seinem Hause, er bestimmte und strafte. Frauen, Kinder, Sklaven und Diener waren ihm unterstellt. Er trug ja auch der Verantwortung für den Familienbesitz. Dazu gehörten auch die Töchter. Sie galt es zu bewahren, um sie später gut als Braut verkaufen zu können. Inwieweit die Tochter wirklich eingesperrt lebte, wie in der Weisheit Jesus ben Sirach belegt, ist nicht allgemein bekannt. Er schrieb: "Die Tochter ist für den Vater ein Schatz, der ihm Unruhe macht, und die Sorge um sie stört ihm den Schlaf ... Wo sie weilt, sei kein Fenster, und wo sie übernachtet, kein Zugang ringsum!" Ganz so eng wird es eher nicht gewesen sein, aber ihr Rahmen war aber auf jeden Fall sehr eingeschränkt, ihre Kontakte und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben begrenzt. Dabei wurde aber bei den Juden trotz aller Einschränkungen und Abwertungen, welche die Frau erfahren hat, nur äußerst selten bis zum Äußersten gegangen und sie als Sache erklärt. Im Gegenteil, einige Frauen verschafften sich Gehör und Stellung. Eine weit verbreitete Gruppe waren die Mütter, die einen hohen Stellenwert im Ansehen der Männer besaßen. Andere Frauen haben auch geistigen Austausch mit Männern gepflegt, auch wenn das eigentlich verpönt war. Allerdings waren diese Frauen eher die Ausnahme. In der Ehe war die geistige Gemeinschaft zwischen Eheleuten eher selten. Dabei hatte die Ehe - im Gegensatz zu dem Verhältnissen bei den Griechen zum Beispiel - einen hohen Stellenwert bei den Juden. Sie war zu einem Teil zwar zwischen den Familien vermittelt, ein großer Teil der frühen Hochzeiten wird jedoch sogar aus einem echten Liebesverhältnis heraus gewachsen sein. Zu beachten ist jedoch, daß sich die Verlobten häufig auch aus der Ferne ineinander verlieben konnten, also ein zum Teil anderer Liebesbegriff existierte. Allerdings kann man auch nicht sagen, die Ehe wurde nur als geschlechtliche Partnerschaft geschlossen. Es finden sich Belege, wo gerade dies verneint wird. Dieser Stellenwert der Ehe stammte noch aus dem Alten Testament. Mit Hilfe der damaligen Auslegungsmethoden wurde sogar eine ganze Eheethik aufgebaut, die den Ehevollzug genauestens regelte. Sie war nicht genau festgelegt, je nach rabbinischer Schule gab es Unterschiede. Am deutlichsten zeigten sich diese Unterschiede bei der Ehescheidung. Welche Gründe reichten für die Ehescheidung? Allgemein konnte nur der Mann die Ehe scheiden. Um die Scheidung zu vollziehen, mußte er dann der Frau einen Scheidebrief aushändigen, mit dem sie dann zurück in ihr Elternhaus ging. Die Frau konnte zwar auch dem Mann weglaufen, aber nur mit diesem Scheidebrief war es ihr erlaubt, erneut zu heiraten. Um die Scheidung zu erlauben, wurde unter den Rabbinern viel über Deuteronomium 24,1 gestritten. Die allgemeine Frage war, was etwas Schändliches (tw:r>[ oder a;schmon in der LXX) war. Die enge Schule des Schammai deutet diese Stelle nur auf den Ehebruch hin. Wenn die Frau die Ehe bricht, so darf der Mann sie entlassen, sonst nicht. Hillel legte fest, man dürfe die Frau auch entlassen, wenn sie das Essen anbrennen ließ. Allerdings darf man sich diese Begründung in dem frühen Stadium nicht sehr banal vorstellen. Da der Frau das Kochen als oberste Pflicht oblag, wollte Hillel mit dieser Regelung der stillen Mißachtung des Mannes durch die Frau einen Riegel vorschieben. Also sollte durch diese Regelung der passive Widerstand der Frau gegen den Mann ein Scheidungsgrund sein. Später hat Rabbi Aqiba, aus der Schule des Hillel stammend, die Schandbarkeit schon als gegeben angesehen, wenn der Mann eine andere findet, die schöner ist als seine Ehefrau. Hillels Deutung hat sich hier allgemein durchgesetzt. J. Leipoldt vermutet, daß Hillel die Ehe-scheidung deshalb so geöffnet hat, da er sah, wie gefährlich eine zerrüttete Ehe war. Sie bot dem Mann die Verlockung zur Mißhandlung der ungeliebten Frau - die ihm ja schutzlos ausgeliefert war - und zum Ehebruch . Den Ehebruch galt es damals aber unter allen Umständen zu vermeiden, denn auf ihm stand ja die Todesstrafe. Die Todesstrafe durften nur die Römer verhängen, und da man keinen Kontakt mit den Römern wollte, vermied man auch diese Strafe. Es kehrte den Sinn der Todesstrafe geradezu um. Die Abschreckung führte nicht zu einer engeren Bindung der Ehepartner aneinander, sondern der Strafbestand wurde enger gefaßt. Man brach eben seine Ehe nach dem Gesetz nicht so schnell. Allerdings führte der vermögensrechtliche Aspekt der Ehescheidung zu einem gewissen Schutz der Frau. Über die Aussteuer darf der Mann nur verfügen, sie verbleibt im Besitz der Frau. Und noch viel wichtiger ist die Hochzeitsverschreibung. Das ist die Summe, die die Frau bei einer Scheidung oder Verwitwung erhält. So urteilt Raba, man solle eine böse Frau nicht entlassen, wenn sie eine große Hochzeitsverschreibung hat, sondern ihr eine zweite Ehefrau an die Seite stellen. Das habe sogar durch die Eifersucht in der Ehe einen erzieherischen Charakter. Diese Polygamie war aber im Judentum nicht die Regel, auch wenn sie gelegentlich praktiziert wurde. Diese Scheidungsregeln wurden in Palästina nicht sehr eng gehalten. Es galt eher, "daß es ... keine Ehe im jüdischen Volk gegeben hat, die nicht kurzerhand vom Manne in völlig legaler Weise durch Aushändigung eines Scheidebriefes gelöst werden können." Denn es gab einen besonderen Kniff, der dieses ermöglichte. Man sagte, wenn der Scheidebrief erst einmal ausgestellt war, gab es kein zurück. Selbst wenn die Gründe für diesen Brief falsch waren oder fehlten, behielt er seine Rechtsgültigkeit. Dieses leichtfertige Auflösen wurde zwar auch von manchen Rabbinern kritisiert, war aber die allgemeine Praxis. 5.2 EhebruchDer Tatbestand des Ehebruchs basiert auf einer Besonderheit, die uns heute unverständlich ist. Da dem Mann Polygamie erlaubt war, durfte er mehrere Frauen haben. Das hatte zur Folge, daß er, wenn er mit einer anderen als seiner Frau sexuellen Umgang hatte, nicht seine (!) Ehe brach. Die Frau, die diese Freiheit nicht hatte, brach allerdings ihre Ehe, wenn sie verheiratet war. Die Folge davon war, daß der Mann gegenüber seiner Frau nicht als Ehebrecher dastand. Das war er nur für den fremden Mann, mit dessen Ehefrau er dessen Ehe gebrochen hat. Die Ehe des Ehebrechers hatte so keinen Schaden genommen. Der Mann war also im Gegensatz zur Frau nicht zur Meidung jeden außerehelichen Verkehrs gezwungen, sondern konnte sich im gewissen Rahmen frei betätigen. Es war erlaubt und hatte keine Konsequenzen, auch wenn es zum Teil sittliche Regeln gab, die das wiederum zum Teil eingrenzten. So war zum Beispiel der Geschlechtsverkehr mit Nichtjüdinnen auf das Bestimmteste verpönt. Ehebruch war überall verboten. Man schloß eine Ehe nicht, um sie zu brechen. Das galt sogar im Hellenismus, wo die Ehe kein besonders hohes Ansehen hatte. Da für den Mann keine enge Sexualmoral gelten sollte, gab es viele Ausnahmen. Außerehelicher Geschlechtsverkehr wurde so für den Mann als legal erklärt. Er brauche das, und daher konnte er dann die Ehe dadurch nicht mehr brechen. Die Ehefrau hatte kein Recht mehr, in diesem Bereich Treue zu erwarten, es wurde ihr abgesprochen. Je nach Kultur war das unterschiedlich, entweder beschränkt auf den Verkehr mit ledigen, unverlobten Jüdinnen, oder auf Hetarien und Prostituierte, oder nur auf Sklaven. Zur Prostitution muß man oft auch die kultische Prostitution zählen, bei der der Mann mit der Frau im Verständnis der jeweiligen Religion einen Götterdienst ausübt, einen religiösen Akt. 5.2.1 PorneiaDem Begriff pornei,a kommt eine besondere Bedeutung zu, da er die sogenannte Aus-schluß-klausel von Matthäus bestimmt. Um die Bedeutung dieser Klausel wurde viel gerungen, und ein Teil hängt mit dem Verständnis dieser Vokabel zusammen. Nach FHauck und SSchulz entstammt dieser Begriff ursprünglich der Prostitution. Im hellenistischen Raum wurde als pornh die Prostituierte bezeichnet. Es leitet sich von pe,rnhmi ab, verkaufen, und bezeichnet die käufliche Dirne, dabei in der männlichen Form sowohl den Mann, der zur Prostituierten geht, als auch den männlichen Prostituierten. Der Begriff selber kommt im klassischen Griechisch nur selten vor, und bedeutet dort Prostitution und Unzucht. Er ist nicht mit dem Ehebruch verbunden, sondern bezeichnet nur eine Gruppe von Formen sexuellen Umgangs. Entsprechend der Landessitte haftet aber dem Begriff nicht unbedingt nur ein negativer Beigeschmack an, da die griechische Lebensanschauung den Geschlechtsverkehr für ebenso notwendig, natürlich und berechtigt hielt wie Essen und Trinken. Der Begriff hat im Spätjudentum eine Wandlung erfahren. Er ist breiter gefächert worden. Neben die Prostitution ist auch jede Art von außerehelichem Geschlechtsverkehr und widernatürliche Sexualität dazugekommen. Zum Teil wird der Begriff hier sogar in der Nähe des Ehebruchs verwendet, sachlich stimmt er ja oft mit ihm überein. Bei den spätjüdischen Rabbinern wird der Begriff sogar auf die Sexualität von Eheleuten, deren Ehe nicht den rabbinischen Lehrsätzen entspricht, bezogen. Dieser Begriff hat im Judentum einen ganz klar negativen Klang. Es stellt sich die Frage, wie die Vokabel im Neuen Testament benutzt wurde. Heinrich Baltensweiler versucht den Begriff aus Apostelgeschichte 15, 28 - 29 zu entwickeln. Im Vergleich mit Levitikus 17 und 18 kommt er zu dem Schluß, daß hier Heiraten in den verbotenen Verwandtschaftsgraden gemeint ist. Seine Variante, diesen Begriff in Matthäus 5 auch als Inzestehe zu übersetzen, besticht durch die Brücke, welche sie baut. Jesus wendet sich in Matthäus 5 gerade gegen eine freie Ehemoral. Dann kommt eine plötzliche Ausnahme. Bezieht man diese Aufnahme auf Inzest, so kann man folgern, Jesus wollte auch diese Ehen verbieten. Denn in Israel galten Verwandtschaftsgrade aus der Zeit vor der Aufnahme in das Judentum nicht. Da die Familie aus der Zeit, wo ein Proselyt noch Heide war, nicht galt, konnte er ruhig seine Schwester heiraten. Das war keine Inzest mehr in den Augen eines Judens. Nach dieser Auffassung mußten auch Prosely-ten, die in die matthäische Gemeinde eintraten, ihre inzestuöse Ehe scheiden. Heiden mußten das sowieso, da bei ihnen die Auflösung der Verwandtschaft nicht galt. Natürlich hat der Begriff viele weitere Deutungen erfahren. Ausgehend von F. Hauck und S. Schulz im theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament , die den Begriff einfach als außerehelichen Geschlechtsumgang der Frau verstehen, wurde er weiter differenziert. Aber man kann den Begriff nicht genauer auslegen, als es F. Hauck und S. Schulz getan haben. Gegen die These von H. Baltensweiler sprechen mehrere Gründe, insbesondere die folgenden: Der Kontext deutet eine solche Einengung nicht an, weiterhin hat keiner der Kirchenväter das je so begriffen, und als wichtiges Argument gilt auch, daß gerade bei Levitikus 18 dieser Begriff fehlt. Auch weitere Präzisierungen sind unmöglich, da sie von der Benutzung des Wortes in der Literatur nicht gewonnen werden können. So bleibt hier nur die sexuelle Betätigung der Frau außerhalb der Ehe, und damit dem von ihr ausgehenden Ehebruch. Das Wort moiceiva wird hier aber aus mehreren Gründen nicht verwandt: Einerseits gilt der Wortstamm von moiceiva eher bei Männern, während das hier verwendete Wort eher für Frauen gilt. Weiterhin paßt die Doppelung hier nicht, wenn man sich überlegt, daß dadurch die Ehe durch einen Ehebruch legal aufgelöst wäre. Diese letzte Aussage ist paradox in sich selber, und so mußte Matthäus hier einen anderen Begriff als moiceiva verwenden. 5.2.2 Die HandIm Vers 30 verwundert die Erwähnung der Hand im Zusammenhang mit dem Ehebruch. Denn eigentlich ist hier von sexueller Verführung die Rede, und die Hand weist eher auf normalen Diebstahl hin. Dabei gibt es zwei Punkte zu beachten. Ehebruch im jüdischen Sinne ist ein Eigentumsdelikt. Die Frau, die dem Mann gehört, wird dem Mann entrissen. Das zeigt deutlich das 10. Gebot, wo die Frau als "nicht zu begehren" vor den Knechten, dem Vieh und dem übrigen Eigentum erwähnt wird. Das dmx, was dort verwandt wird, hat sogar einen Anklang an das Ansichreißen . So ist die Hand ein Verweis auf diesen Diebstahl, den Ehebruch. Desweiteren hat die Hand ein weites Bedeutungspektrum. Das setzt ein mit cei,r im Griechischen, was auch für die Gewalt stehen kann, die ausgeübt wird. Aber dieser Ausdruck, der das hebräische dy" wiedergibt, kann auch für das männliche Geschlecht stehen. So wäre eine solche Deutung hier nicht verwunderlich. Welche Variante den Schwerpunkt bildet, ist nicht feststellbar. Denn auch die Ortsangabe rechts ist mehrdeutig. Das Wort dexio,j kann nicht nur rechts bedeuten, sondern auch gut, sogar im sittlichen Sinne. So gilt auf jeden Fall festzuhalten, daß dieser Vers für einen Juden sehr wohl einen Bezug auf den Ehebruch hat. Damit paßt er auch sehr gut in diesen Zusammenhang. |