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6. Diskussionspapier der Evangelischen Kirche im Rheinland

In der evangelischen Kirche im Rheinland wurde die Diskussion über die Homosexualität in einem besonders breiten Rahmen geführt. So brachte sie schon 1992 ein Arbeitspapier unter dem Titel "Homosexuelle Liebe", das zur Diskussion den Gemeinden und Kirchenkreisen zugeleitet wurde. Aber gerade in den Themenbereichen Sexualität, Ehe und Lebensformen gab es eine große Uneinigkeit. So faßte die Landessynode 1995 den Beschluß, sich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen. Dafür hatte der Theologische Ausschuß der Landessynode zwei Papiere mit insgesamt 119 Seiten erarbeitet, die 1996 zur Diskussion verteilt wurden. Diese Schriften Sexualität und Lebensformen sowie Trauung und Segnung sollen in diesem Kapitel im Mittelpunkt der Untersuchung stehen.

6.1. Das Thema

Nach einer Einzelschrift zur Untersuchung der Homosexualität hat die Landessynode festgestellt, daß man Homosexualität nicht als getrenntes Einzelthema betrachten kann. Daher wurde der Anlauf unternommen, Homosexualität einerseits im Gesamtkontext von Sexualität und Lebensformen zu untersuchen. Sie nähert sich den unterschiedlichen Lebensformen wie auch Alleinleben oder Ehe ohne Trauschein vom Blick der Sexualität auf einer breiten Front. Andererseits wird die Trauung und Segnung untersucht. Hier werden Grundzüge des Verständnisses von Segen und Segenshandlungen allgemein und bei der Hochzeit im Speziellen untersucht, die Eheschließung in der Bibel und in der Geschichte, und daraus Konsequenzen für Segenshandlungen an homosexuellen Paaren gezogen.

6.2. Die Argumentation im Bereich Homosexualität

Für die allgemeine Argumentation im Bereich Homosexualität ist der erste Teil, Sexualität und Lebensformen, zuständig. Er diskutiert aber die Sexualität allgemein, so daß nicht immer deutlich abgegrenzt werden kann, ob mit Lebensform eine homosexuelle Partnerschaft oder nur eine heterosexuelle Ehe ohne Trauschein gemeint ist. Grundlagen für diesen Abschnitt wurden auch schon in dem Arbeitspapier "Homosexuelle Liebe" 1992 gelegt. Ich werde mich aber auf das spätere Papier beschränken, und auch nur auf die Untersuchungen, die sich auf die Homosexualität beziehen lassen.

6.2.1. Biblischer Befund zur Homosexualität

Der Intention des Diskussionspapiers entsprechend, sich der Homosexualität möglichst allgemein zu nähern, gibt es ein Kapitel "Sexualität in der Bibel". Die erste Annäherung geschieht über unsere Lebensform Ehe. Durch ein fehlendes Wort für Ehe setzt die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland unsere Institution Ehe mit dem Begriff Haus gleich. Durch die Heirat wird keine Liebesgemeinschaft begründet, sondern eine Wirtschaftsgemeinschaft gegründet, die eine ganze Großfamilie mit Sklaven umfaßte. Dementsprechend ernst wurde der Rechtsakt der Heirat genommen. Außerdem war die Heirat kein gottesdienstlicher Akt, sondern wurde durch "Geld, Urkunde und Beischlaf" vollzogen. Trotzdem war sie durch ein großes Fest öffentlich.

Die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland zeigt weiterhin auf, daß die Ehe eines Mannes mit vielen Frauen im Alten Testament als normal angesehen wurde. Auch "wird die Vielehe an keiner Stelle des Neuen Testamentes kritisiert". Allerdings wird die Argumentation hier zu 1. Timotheus 3,2.12 sowie das Verbot Jesu zur Ehescheidung etwas unlogisch. Das Ehescheidungsverbot war ursprünglich nur gegen die Auflösung des Rechtsverhältnisses zu einer Frau gerichtet. Erst die Urgemeinde schwächte das Verbot zu einem Verbot der Wiederheirat ab. Gleiches gilt für den Gemeindeleiter, der "nur eines Weibes Mann" sein soll. Nicht die Vielehe sei verboten, sondern die Wiederheirat nach dem Tode der Ehefrau. Aber warum sollte bei lebender Ehefrau eine Vielehe erlaubt sein, nach dem Tod aber plötzlich auf weitere Heiraten verzichtet werden?

Die Argumentationen zur Ehe und zur Vielehe sind für die Autoren der Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland nur Vorbemerkungen, die uns zeigen sollen, wie fremd uns der Bibeltext und insbesondere die Vorstellungen zur Ehe in der Bibel sind.

Die eigentliche Beleuchtung der Sexualität startet bei der Schöpfungsgeschichte. Der vollkommen und gut geschaffene, asexuelle Mensch bekommt aus sich heraus einen Partner geschaffen, den er als Frau und daran sich selber als Mann erkennt. Die sexuelle Begegnung wird nun als eine gleichzeitige Wahrnehmung von Vertrautem – "Fleisch von meinem Fleisch" - und Fremden – das andere Geschlecht als gegenüber – charakterisiert. Beide Bedeutungen schwingen im Wort "erkennen" mit, das der hebräische Text hier verwendet. Die Macht der Sexualität wird an Genesis 2,24 dreifach gedeutet und überspitzt:

  1. als ganzheitliche Vereinigung, die zur Verschmelzung und Ersticken der eigenen Persönlichkeit führen kann,
  2. eine Auslieferung der Partner aneinander, die zur Hörigkeit führen kann,
  3. eine neue Trennung, die im Extremfall enge familiäre Bindungen und gesellschaftliche Ordnungen zerstören kann.

Breit wird erörtert, was der Text nicht aussagt:

  1. Hier ist nicht von einer Unterordnung der Frau unter den Mann die Rede. 1. Korinther 11,8f und 1. Timotheus 2,13 sind hier eine falsche Auslegungstradition.
  2. Die Ehe ist hier auch nicht im Blick. So ist die Ehe als Schöpfungsordnung nur eine "dogmatische Konstruktion, aber keine Aussage der Bibel".
  3. Daß Sexualität hier nur in Verbindung von Mann und Frau erwähnt wird, ist kein Argument, daß es Homosexualität nicht gäbe oder sie von Gott nicht gewollt sei. Dafür sind andere Texte heranzuziehen.

Eine wichtige Brücke zur Homosexualität wird über die sexuelle Aktivität von Frauen geschlossen. Ihre Sexualität ist im Text nicht erwähnt, aber trotzdem ist sie nicht verboten. Die hier für den Mann wahrnehmbare sexuelle Faszination einer Frau ist entsprechend umgekehrt wahrnehmbar. Die Frau kann den Text auf sich beziehen und sagen, sie habe die Eltern verlassen, um an ihrem Mann zu hängen und mit ihm ein Fleisch zu werden. "Das steht nicht in der Bibel. Das ist Textauslegung, Übertragung fremder biblischer Berichte auf eigene Erfahrung." Das wird entsprechend auf lesbische Frauen übertragen. "Was hindert sie daran, ebenfalls auszulegen und den Text auf ihre Erfahrungen zu übertragen? Und natürlich auch Männer, die von Männern angezogen werden, können sagen: ‚...Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch!‘ "

Die Erwähnung in Genesis 1,27 spricht auch nicht über die Heterosexualität. Diese Stelle spricht einzig über den Wert der Frauen, die damit gleichberechtigte Partner der Männer sind und nicht Geschöpfe niederen Ranges. Dabei wird der Text allgemein ausgelegt. Alle Menschen sind als Ebenbilder Gottes aufeinander angewiesen und bezogen auf vielfältige Weise. Das schließt die Sexualität ein, reicht aber wesentlich weiter. Hier sind weder Menschen ohne sexuelle Praxis noch homosexuell lebende Menschen ausgeschlossen oder "defizitär".

Nur der Segen hat in Vers 28 eine sexuelle Komponente. "Seid fruchtbar und mehret euch und füllt die Erde" Diesen Segen haben die Menschen mit den Tieren gemeinsam (Vers 22), unterscheiden sich aber durch die "partnerschaftliche Bezogenheit der Frauen und Männer aufeinander als das Kennzeichen der Gottebenbildlichkeit der Menschen."

Im Rahmen der Schöpfungsgeschichte wird auch das Zitat Jesu in Markus 10,6-9 und Matthäus 19,4-6 behandelt. Ehe wird hier von Jesus nicht "zum ‚Sakrament’, noch zur ‚Schöpfungsordnung’ noch zur ‚Stiftung Gottes’ erklärt. Der Text vermittelt keine christliche Ehelehre. Er erzählt vielmehr, wie Jesus als Anwalt rechtloser Frauen Rechtsverhältnisse seiner Zeit verändert, um die Schwachen zu schützen und damit den ursprünglichen guten Willen Gottes zum Zuge zu bringen." Damit läßt sich dieser Text als auf Schutz der Schwachen ausgerichtet in andere Partnerschaften übertragen.

Für die ethischen Maßstäbe erarbeitet die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland den Begriff der Gemeinschaftsgerechtigkeit. Denn die Sexualität selber ist eine Macht, die der Mensch als "Erfahrung von Ohnmacht" erlebt, wie er sich auch im Tode ohnmächtig fühlt. Aber in gewissen Grenzen bleibt die Sexualität auch gestaltbar. "Mit ihren sexuellen Möglichkeiten können Menschen beides, ihr eigenes Leben und das anderer bereichern, erweitern, aufbauen, erfüllen und damit ‚gemeinschaftsgerecht’ leben. Sie können aber auch sich und andere verletzen, beeinträchtigen, erniedrigen, zerstören. Der Realismus der Bibel erzählt von beidem." Der Begriff der Gemeinschaftsgerechtigkeit ist die Übersetzung der hebräischen hq'd'c. und dem griechischen dikaiosu,nh. Gott stiftet Gemeinschaft und hat sich selbst verpflichtet, sie zu erhalten. Damit lädt Gott auch die Partner und Partnerinnen der Gemeinschaft wiederum ein, dieser geschenkten Gemeinschaft gerecht zu werden. Deshalb ist Gottes Recht auch entscheidend für das menschliche Recht, denn "der von ihm gewährte Bund verpflichtet die Bundespartnerinnen und -partner zu bundesgemäßem Verhalten."

Das Hohelied gibt der Sexualität drei weitere Sichtweisen:

  1. Es gibt eine geglückte erotische Beziehung, von der ohne Trübung erzählt wird. Das gilt auch für diverse andere Liebesgeschichten, über deren erotische Seite allerdings weniger im Alten Testament erzählt wird. Im Neuen Testament fehlen solche Texte, aber trotzdem wird zur Liebe zwischen den Partnern aufgefordert, "und das ist in einer Welt, in der für die Heirat in der Regel nicht die Liebe zwischen Frau und Mann der Grund ist, bedeutsamer als es uns heute erscheint."
  2. Die Fruchtbarkeit spielt keine Rolle bei der sexuellen Begegnung.
  3. Mann und Frau begegnen einander, ohne auf eine Rolle festgelegt zu sein, insbesondere sind beide aktiv und passiv im Wechsel.

Daneben stellt die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland fest, daß die Sexualität im Neuen Testament eher negativ bewertet wird. Aber diese Bewertung entsteht aus "der Situation einer Minderheit, die sich gegenüber Strömungen in der hellenistischen Welt abgrenzt, in denen Sexualität schrankenlos orgiastisch und entpersonalisiert ausgelebt und konsumiert wird."

Dabei wird in der Bibel die Sexualität nur durch die Brille des Patriarchat gesehen, trotz einiger anderer Ansätze ("vor allem in der Verkündigung und Praxis Jesu"). Vom Patriarchat her ist die "selbständige sexuelle Aktivität der Frauen ... dabei gerade ausgeschlossen.

Darum kennt die Bibel auch keine lesbische Liebe. ‚Widernatürlicher Verkehr’ von Frauen (Röm. 1,26) ist nur als Verkehr mit männlichen Tieren (3. Mose 18,23; 20,16) oder als heterosexueller Analverkehr bekannt (z.B. Midrasch Bereschit Rabba 60; 37a). Ohne Phallus und Sperma keine Sexualität!" Dabei ist das Sperma der Träger des Lebens, auf das die Ehefrau sogar einen gewissen Anspruch hat. Auch die Stellen, die über die Homosexualität sprechen, werden von der Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland unter dem Aspekt des Patriarchat gesehen. Es ist einerseits der Bruch dieser Ordnung, da ein Mann die untergeordnete Frauenrolle übernehmen muß – "‚Entehrung’ (Luther: ‚Schande’, ‚Schandtat’, ‚schändlich’) und ‚Ersetzen’ sind die entscheidenden Stichworte dafür (Ri. 19,23f; Röm. 1,27)" -, andererseits eine "Tabuverletzung" durch "den Mißbrauch von Sperma." Aber dieses Patriarchat wird durch Jesus aufgesprengt. Schon im Alten Testament sind Ansätze davon zu finden, wie z.B. die Gleichberechtigung im Schöpfungsbericht. Jesus kritisiert das Patriarchat deutlich, indem er Frauen zu Jüngerinnen macht, Tischgemeinschaft mit ihnen pflegt und einiges mehr. Herausragend ist die Tatsache, daß sich der Auferstandene erstmals von Frauen sehen läßt und diesen sogar den Auftrag gibt, den Männern von ihm zu berichten. Aber die Apostel blieben später in der Sicht des Patriarchates, so daß sich die partnerschaftliche Sicht von Mann und Frau nicht komplett durchsetzt, meint die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland. Als Beispiel wird hier Epheser 5,21 und 22-33 als Gegenstück erwähnt. Obwohl man sich einander unterordnen soll in der Furcht Christi, sollen sich in dieser patriarchalischen Sicht nur die Frauen unter die Männer unterordnen, die Männer sollen dagegen ihre Frauen nur lieben und sich nicht unterordnen.

Da also die Bibel zu sehr im Patriarchat verhaftet war, gilt es für uns, so die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland, "im Hören auf das Evangelium weit über das hinausgehen, was der Apostel in seiner Zeit zu sagen imstande war."

6.2.2. Humanwissenschaftlicher Befund

Eine Stärke dieser Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland ist die breite Untersuchung im humanwissenschaftlichen Bereich. So untersucht sie die Sexualität als biologisches Phänomen (bezogen auf die menschliche Sexualität, die Tiere sind erwähnt, sofern sie für die Argumentation von Bedeutung sind), als soziologische Situationsbeschreibung und unter kulturhistorischen Aspekten.

Zuerst fällt bei der Sexualität auf, daß es sich um eine biologische Naturanlage handelt, die der Mensch wie die höher entwickelten Tiere zum Zweck der Fortpflanzung hat. Aber beim Menschen ist die Dimension der Lusterfüllung von der Funktion der Fortpflanzung trennbar. Andererseits ist aber das Bedürfnis nach Geborgenheit beim Menschen ein konstituives Bedürfnis, das z.B. für die Aufzucht und Erziehung von Kindern unbedingt notwendig ist. Denn Menschenkinder benötigen im Gegensatz zum Nachwuchs höchst organisierter Tierformen eine wesentlich längere Zeit dieser Geborgenheit durch die Familie. Insofern hat die Sexualität drei Seiten: die Fortpflanzung, die Lusterfüllung und die Geborgenheit. Alle drei Seiten gehören untrennbar zusammen, womit die Sexualität zu einem ganzheitlichen Phänomen wird. In dieser Sicht wird eine Entsprechung der leiblichen Beschaffenheit mit dem seelischen Empfinden als das Normale erklärt. Transsexualität wie Homosexualität ist dann eine Abweichung von der an Ganzheitlichkeit orientierten Regel. Dementsprechend kann "eine Gleichrangigkeit von Homo- oder Bisexualität mit der Heterosexualität als Lebensform der Geschlechter unter biologischen Gesichtspunkten nicht behauptet werden." Sowohl bei den höher entwickelten Tieren wie auch beim Menschen hat Sexualität eine gemeinschaftsstiftende soziale Funktion, denn sie ist eine Form der Begegnung. Das macht sie theologisch bedeutsam und ermöglicht dem Menschen, sie so zu gestalten, daß ihr "menschlicher Sinn gelingt oder verfehlt wird". Sexualität kann benutzt werden, um Macht auszuüben und zu bekommen, z.B. indem es den Anderen zum Objekt der Lustbefriedigung degradiert. Daher unterliegt sie in fast allen Kulturen mehr oder weniger strikten sozialen Kontrollen.

Seit den sechziger Jahren bemerken wir eine starke Änderung der Lebensordnung von Ehe und Familie, so daß die traditionellen Ordnungen, wie sie seit etwa 250 Jahren bestanden haben, sich in vielfältige Beziehungsformen auflösen. So ist nur aus dem Kontext erkenntlich, ob ein Vater der leibliche und/oder der momentane Vater ist, ob er alleinerziehend oder unehelich ist, ob es sich um einen geschiedenen Vater, einen schwulen Vater, einem Vater in einer Wohngemeinschaft oder um einen Wochenendvater handelt. Insgesamt ist zu erkennen, daß die Lebensordnungen Ehe und Familie sich den Lebensplanungen der einzelnen Menschen anpassen. Diese Anpassung der Institutionen an die individuelle Lebenssituation wird häufig als Anzeichen eines moralischen oder kulturellen Verfalls. Diesen und ähnlichen Befürchtungen steht aber eine gegenteilige Sichtweise gegenüber: Menschen muß Raum gegeben werden, die Lebensgestaltung veränderten Lebensbedingungen und gesellschaftlichen Zwängen anzupassen. Aus dieser Sicht sind die Prozesse, die sich beim Wandel der Ehe ergeben, kompliziert und zum Teil in sich widersprüchlich.

Die Ehe selber steht heute in einem ganz anderen Kontext als damals. Der Arbeitsmarkt ist geprägt von Mobilität, Konkurrenz, Effizienz und Karriere, und damit genau gegenteilig zu den Anforderungen an eine Ehe, die auf Freundschaft, Elternschaft, Familienorganisation und Beziehungskontinuität hinauslaufen. Aus dieser kalten Lebenswirklichkeit folgt der starke Rückzug in das Glück der Zweisamkeit, das Defizite, Verluste und Härten ausgleichen soll. Da die Ehe nicht durch äußere Aspekte wie die Erwerbsgemeinschaft zusammengehalten wird, ist die stabilisierende Kraft die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse, die Gefühlsqualität der Beziehung. Diese Qualität – oder auch der Beweis für die Qualität - wird an einem befriedigten Sexualleben gemessen.

Wenn aber die Gefühlsqualität einen wesentlichen Anteil an der Ehe hat, dann wird die desillusionierende Erfahrung, daß sich das erhebende Gefühl des Verliebtseins abbaut, destabilisierend für die Ehe. Viele Menschen kompensieren diese Erfahrung dann mit einem zwanghaften Wechsel von Beziehungen.

Auch wenn heute viele Paare keine Ehe eingehen, so gelten für sie doch die gleichen Kriterien an die Beziehung wie für die Ehepaare. Ansonsten sind die Gründe nicht pauschal zu benennen, warum Menschen nicht heiraten.

Ein weiteres Kapitel widmet die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland den alleinlebenden Menschen. Für diese Arbeit ist interessant, daß einerseits diese Menschen akzeptiert werden, aus einem breiten Spektrum an Varianten als Single auf Dauer oder übergangsweise leben, aber letztendlich auch in dieser Lebensform kein Mensch ohne Wärme und Nähe anderer Menschen leben kann.

6.2.3. Ethische Maßstäbe zur Homosexualität

Ethische Maßstäbe zur Homosexualität werden aus den bisher genannten Gründen nicht aus einzelnen Bibeltexten bezogen, sondern aus dem Gesamtbegriff der Gemeinschaftsgerechtigkeit. Dementsprechend sind "die Kriterien und Maßstäbe für die Gestaltung dieser Lebensmacht [Sexualität und damit auch Homosexualität, Anmerkung des Verfassers]" in der Frage, "welches Verhalten das von Gott geschenkte Leben fördert und der von ihm gewährten Gemeinschaft gerecht wird." Dafür stellt sie mehrere Extreme auf, die in der Praxis ständig neu ausbalanciert werden müssen:

  1. Selbstverwirklichung und Hingabe,
  2. Lust und Last (Lasten des Lebens),
  3. Herrschen und Dienen,
  4. Schuld und Vergebung,
  5. Distanz und Nähe sowie
  6. Exklusivität und Offenheit.

Zusammengefasst werden die Kriterien in den Begriffen Keuschheit und Treue. Dabei wird Keuschheit als eine Behutsamkeit im Umgang miteinander beschrieben, und Treue als verläßliche Freundschaft im Wandel der Beziehung durch den Lauf der Zeit. Die Ehe gilt als Rechtsordnung für die Liebe neben anderen. Ihr Vorteil ist die Verbindlichkeit, die ihr die Last nimmt, diese Verbindlichkeit immer wieder erneut zu prüfen und zu rechtfertigen, wie es der Ehe ähnliche Gemeinschaften tun müssen. Dadurch schützt sie das Lebensrecht und die Lebenschancen der Schwächeren, insbesondere der Kinder.

Kern aber einer jeden Geschlechtsgemeinschaft ist aber nur die Verbindlichkeit füreinander, begleitet von der gegenseitigen Annahme und Nichtausnutzung.

6.3. Segnung Homosexueller

In einem zweiten Teil wird ausführlich auf die Begriffe Trauung und Segnung eingegangen. Allerdings ist er mit 19 Seiten wesentlich kürzer als der erste Teil, aber im ersten Teil wurden Grundlagen gelegt, auf denen der zweite Teil bauen kann.

6.3.1. Bedeutung der Segnung

Segen als Gegenteil von Fluch ist eine Wachstumskraft. Sie ist zunächst ganz diesseitig und materiell verstanden, aber mit einer Bindung an den Gott Israels. Durch diese Bindung ist der Segen nicht nur ein Zuspruch, sondern zugleich auch ein Anspruch dieses Gottes an den Gehorsam des Menschen, z.B. zur Tora. So hat der Segen seinen Grund in der Gemeinschaft mit Gott. Dieses Segensverständnis des Alten Testamentes wird im Neuen Testament beibehalten. Die Bindung wechselt allerdings für die neutestamentliche Gemeinde zu einer Bindung an Jesus Christus. "In der Auferweckung des Gekreuzigten gewinnt der Angriff des Segens Gottes auf die Fluchwirklichkeit der Welt radikale Gestalt." In allem Leid, dem Fluch dieser Welt, bleibt der Gekreuzigte in der Gemeinschaft mit seiner Gemeinde. Darum kann man auch im materiellen Leid vom Segen Gottes sprechen. So paßt für den Segen Gottes der Zuspruch "Gottes Geleit". Dabei ist dieser Zuspruch nicht ein schicksalhaftes Ergeben in die Defizite des Lebens, sondern eine Kampfansage. "Der Zuspruch von Gottes Geleit eröffnet eine Hoffnungsperspektive."

Segen gibt es in drei Satzformen:

  1. Gott segnet Menschen. Daneben segnet er auch Tiere, den Erdboden, Nahrungsmittel und den Sabbat. "Der Urheber des Lebens gibt etwas von seiner Kraft in die Lebensträger seiner Schöpfung, um Wachstum und Leben zu fördern."
  2. Menschen segnen Gott und zeigen so Resonanz. Es kommt dadurch zur Gottesgemeinschaft.
  3. Menschen segnen Menschen, die klassische Segenshandlung. Menschen machen dabei die Erfahrung, daß ihnen beim Weitergeben des Segens der empfangene Segen nicht verloren geht.

Segenshandlung sind Schwellenriten. Sie werden an kollektiven Schwellen, dem Ende des Gottesdienstes z.B., oder an individuellen Schwellen, z.B. bei der Hochzeit oder bei einer Abreise, erteilt.

Ein anderer Aspekt des Segens ist der Tischsegen. "Die Grundregel heißt im Judentum so: ‚Nicht darf ein Mensch irgend etwas genießen, bis daß er den Segensspruch gesprochen hat; denn es ist gesagt (Psalm 24,1): ‚Dem Herrn (gehört) die Erde und ihre Fülle, der Erdkreis und (die), die darauf wohnen’. (Hieraus folgt): ‚Wer genießt von dieser Welt ohne Segensspruch, siehe, so veruntreut er Heiliges’ (d.h. verwendet es, eignet es sich an ohne Erlaubnis)...‘." So wird durch den jüdischen Segensritus im Gegensatz zu vielen anderen Religionen Heiliges in etwas Profanes, etwas, das vorher Gott gehörte, ist nun dem Genuß durch dem Menschen freigegeben.

6.3.2. Bedeutung der Trauung

Das Judentum kennt den Hochzeitssegen in Analogie zum Tischsegen. Dabei scheint das Patriarchat durch: Der Mann darf die zum Eigentum erworbene Frau nach dem Segen als Geschenk vom Schöpfer annehmen und genießen. Ohne den Segen wäre es eine Veruntreuung gegenüber Gott. Insofern ist der jüdische Segensritus bei der Hochzeit kein Kultakt, sondern ein Akt göttlicher Rechtssetzung. "Zugespitzt formuliert: Mit ihr wird die Lizenz zum Genuß anderer Geschöpfe dankbar in Empfang genommen."

Dieser Segen ist gerade im Hochzeitsritus wichtig, denn der Genuß sexueller Gemeinschaft ist eine Begegnung mit der Macht des Heiligen. "Das mag in der Erfahrung sexueller Ekstase, der Zeugung und Empfängnis neuen Lebens, aber vielleicht auch im Wissen darum begründet sein, daß Sexualität mit zugreifen, verfügen, verzehren, verletzen, also Vorformen des Tötens, verknüpft ist." So wird durch den Segen nicht nur das Recht des Genusses empfangen, sondern auch der Kontakt mit dem Heiligen im Alltag der Welt erträglich gestaltet. Der Genuß ist vom Schöpfer gegeben und vor ihm auch zu verantworten. Dadurch wird das Genießen eines anderen Geschöpfes gleichzeitig auch an das Einverständnis gebunden, daß der andere mich genießt. Es entsteht ein Wechselspiel, mit dem der Schöpfer die Solidarität der Geschöpfe untereinander fördert. Für die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland ist dieses Wechselspiel die Perspektive, in der die ethischen Maßstäbe zur Gestaltung der Sexualität gewonnen werden müssen, und von der aus sich Verzicht und Askese theologisch begründen lassen.

Keine Bedeutung mit dem Hochzeitssegen hat – im Gegensatz zu vielen Traditionen – Genesis 1,28. Zwar ist Fruchtbarkeit ein Teil des Segens, aber in dieser Bibelstelle fehlen drei Aspekte, so die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland: Einerseits ist hier nicht von Ehe die Rede, andererseits wird hier nicht von einer Segenshandlung unter Menschen berichtet oder angeleitet, und drittens teilen sich diesen Segen Menschen mit Tieren (Genesis 1,22). "Wer daraus eine liturgische Segenshandlung ableitet, hat Schwierigkeiten, die Forderung nach einer Segenshandlung an Haustieren argumentativ abzuweisen."

Die in der Bibel vorhandenen Texte, die von einer Eheschließung berichten, sind lediglich Rechtsakte, die ein Haus begründen oder um eine Frau erweitern.

Einen Hinweis auf eine religiöse Handlung oder gar einen Gottesdienst geben diese Texte nicht. Erst im 1. Jahrhundert vor Christus tauchen Segenshandlungen im Buch Tobit auf, deren Praxis 1. Timotheus 4,3-5 zugrunde liegen könnte. Die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland folgert daraus: "Die in der Theologie- und Kirchengeschichte übliche Praxis, das jeweils eigene Eheverständnis in der Bibel wiederzufinden, ist also von den biblischen Texten her selbst zu relativieren und zu kritisieren. Vielmehr ist die Fremdheit biblischer Vorstellungen und Aussagen in ihrer kritischen Kraft zum Zuge zu bringen, statt sie vorschnell mit modernen Verhältnissen zu harmonisieren."

In einem weiteren Schritt untersucht die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland die Entwicklung der Eheschließung in der Evangelischen Kirche. Gerade Luther hat gestützt durch den biblischen Befund widersprochen, daß die Eheschließung ein sakramentaler Akt ist, sondern eine äußerlich weltliche Sache. Wünscht der Staat eine rechtliche Zusammenfügung der Ehepartner von der Kirche statt auf dem Standesamt, so hat das außerhalb des Kirchengebäudes zu geschehen. Trotzdem bleibt diese weltliche Rechtssetzung ein Akt vor Gott, dem in der Kirche Segen, Fürbitte und Gottes Wort gespendet wird. Wenn Luther von der Ehe als göttliche Ordnung spricht, so ist das nur als Polemik gegen die kirchliche Praxis mit dem Priester- und Mönchtum als heiligen Stand zu sehen. Zwar forderte das preußische Landrecht von 1794 erneut die Mitwirkung des Pfarrers, aber das Personenstandsgesetz von 1875 trennte zwischen staatlichem und kirchlichem Akt erneut, wie es bis heute in Deutschland gültig ist. Dabei übernimmt der Staat die Verantwortung für eine rechtsgültige Eheschließung. Leider hat sich dieser Gedanke nur nicht vollständig in allen Köpfen durchgesetzt, so daß manche bis heute geltenden Agenden noch keine klare Trennung von kirchlichem und weltlichem Akt gefunden haben.

Dementsprechend gibt es drei mögliche Folgerungen:

  1. Die Trauung ist ein Gottesdienst anläßlich einer Eheschließung. In theologischer Konsequenz müßten Eintragungen in das Kirchenbuch oder das Ausstellen von Urkunden entfallen. Die Traufrage ist dann so zu formulieren, "daß das Jawort des Paares ein Bekenntnis zu der Verheißung und dem Gebot Gottes für ihr gemeinsames Leben darstellt."
  2. Die kirchliche Trauung ist ein Teil des Gesamtrituals "Hochzeit". Trotzdem sollte das Paar dafür gewonnen werden, die Hochzeit im regulären Gemeindegottesdienst zu feiern.
  3. Der Traugottesdienst ist auch ein Schwellenritus. Allerdings können die eigentlichen Schwellen (Beginn der sexuellen Gemeinschaft, der Wohn- und Lebensgemeinschaft sowie der Standesamtlichen Eheschließung) zeitlich weit entfernt liegen. So ist zu überlegen, neue Schwellenriten einzufügen (Auszug aus dem Elternhaus, Beginn der Wohngemeinschaft,...). Trotzdem ist das Ritual der Segnung ernstzunehmen und zu inszenieren. Als Kern gehören zum Ritus Schriftlesung und Segenshandlung. Bei der Schriftlesung sind Texte zu lesen, die biblische Wegweisung sind, nicht aber als Stiftungsworte. Die Frage der Segenshandlung als Akt göttlicher Rechtssetzung im Zusammenhang von Sexualkontakten ist theologisch grundsätzlich neu zu reflektieren, so daß der "ursprüngliche Zusammenhang von ritueller Segenshandlung und Sexualkontakt ... überhaupt wiederzugewinnen" ist.

Die Traufragen als das Ritual stützende Gestaltungselemente sind so zu formulieren, daß es ein Jawort des Paares zur gemeinsamen Verheißung und zu dem Gebot Gottes im Blick auf das gemeinsame Leben ist. Die Formulierung "bis daß der Tod euch scheidet" sollte deutlich als Teil des Segens, der das Paar ermutigt, gesprochen werden. Der Ringritus gehört eher vor das Standesamt und sollte nur vorsichtig in der Kirche vollzogen werden.

Von diesem Verständnis her ist die Trauung auch nur minimal und weitgehend formal von einer möglichen Segenshandlung an nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften unterschiedlich. Hauptunterschied ist die fehlende vorangegangene standesamtliche Eheschließung. Beides ist ein Schwellenritus, der nicht zwangsläufig direkt mit einer wirklichen Lebensschwelle (sexueller oder räumlicher Lebensgemeinschaft) in Verbindung steht. Beides sind Segensbitten für das jeweilige Paar. Nur dadurch, daß das Verständnis der Trauung sich von einem Segen zu einer Sakramentsspendung gewandelt hat, kann die Segenshandlung für Menschen in nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften als Infragestellung der Ehe verstanden werden.

6.3.3. Auftrag der Kirche

Wenn homosexuelle Liebe bejaht wird, dann gibt es "kein theologisches Argument, den Wunsch eines gleichgeschlechtlichen Paares nach einer Segenshandlung im öffentlichen Gottesdienst abzulehnen", folgert die Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland. Einzig bestehen Bedenken, weil befürchtet wird, daß das Verständnis von Ehe und die Trauung leidet. Aber bei diesem Argument liegt nicht das Problem in der Segenshandlung an dem gleichgeschlechtlichen Paar, sondern an dem ungeklärten Eheverständnis der evangelischen Theologie.

Die Kirche hat zwei Sachverhalte darzustellen:

  1. Die Segenshandlung ist keine Rechtssetzung, auch nicht vor Gott oder der Kirche. Die rechtliche Gestaltung einer Partnerschaft ist eine weltliche Sache, die vom Staat zu regeln ist.
  2. Die Segenshandlung ist keine Proklamation, ob ein umstrittener Sachverhalt gut, richtig oder von Gott gewollt ist. So gibt es keinen "kirchlichen Segen" für eine Partnerschaft, denn die Kirche kann kein Sakrament in diesem Sinne für eine Ehe spenden.

Wenn also die Segnung keine Sakramentalisierung der Partnerschaft ist (was die Trauung auch nicht ist) und auch kein politisches Instrument, um eine Gleichstellung der homosexuellen Partnerschaft mit der Ehe zu erreichen, kann dem Wunsch nach Segen entsprochen werden. Vorausgesetzt ist natürlich die positive ethische Bewertung der homosexuellen Liebe.


 © 2001 Dirk Zobel. Alle Rechte reserviert.

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